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Das unmagische Amazon Kindle

Amazon Kindle

Ja, der Akku hält unglaublich lange. Ja, man kann das Display sehr gut auch bei direkter Sonneneinstrahlung nutzen. Und es ist echt nicht teuer. Damit hat man aber schon mal grob die positiven Seiten des Amazon Kindle erwähnt. Ansonsten enttäuscht es. Sehr.

Zunächst das Display. Abgesehen von der tollen Lesbarkeit im Sonnenlicht ist es in jeder Beziehung viel schlechter als jedes LCD-Display. Es kann keine Animationen, es kann keine Farbe, es kann nicht mal Hintergrundbeleuchtung. Und selbst Graustufen kann es nur mit viel gutem zureden. Graustufen! Die einzelnen Pixel des Kindle kann man recht leicht erkennen, kein Wunder bei gerade mal 600×800 Pixeln. Durch das Anti-Aliasing der Schrift, also Graustufen an den Rändern um sie glatter erscheinen zu lassen, wirkt die Schrift dazu noch recht verwaschen. Es liest sich nicht schlechter als auf einem normalen Laptop, aber eben auch nicht wirklich besser. Und es ist kein Vergleich zum Retina-Display eines iPhone 4. Dazu ist der Kontrast bei Zimmerhelligkeit sehr mau: Das Hintergrund-Weiß wird zu einem sehr tristen Grün-Grau, das Schwarz der Schrift ist eher Anthrazit. Keine Ahnung, wer jemals auf die Idee kommen konnte, dieses Display sei in irgendeiner Form lesefreundlicher als ein LCD. Bei mir kommt bei diesem Grün-Grau in Grau jedenfalls keine sonderliche Leselaune auf.

Auch die Bedienung erinnert eher an 1988 als an 2011. Die Steuerung ist kompliziert und bedarf eines längeren Lernprozesses, weil sie in sich unlogisch ist. Das finden des WLAN-Menüeintrags hat mich Einiges an Kopfkratzen gekostet. Die komplizierte Bedienung wird noch verstärkt durch die schlechte Tastatur. Fast alle Tasten sind gleich groß, exakt gleich rund und gleich winzig beschriftet. Egal ob “H”, Shift-Taste, Löschen, Return oder Textoptionen: sie sind alle klitzeklein und schlecht zu bedienen. Das Steuerkreuz zum Navigieren ist hakelig. Auch hier sind die Cursortasten zu klein. Links und rechts vom Gerät befinden sich jeweils zwei Tasten zum Vor- und Zurückblättern. Diese sind, genau wie alle anderen Tasten auch, sehr schlecht platziert. Ich habe bisher noch keine Handhaltung gefunden, in der ich das Gerät bequem halten kann, ohne diese Tasten versehentlich zu berühren, dann aber ohne größere Streckübungen rankomme um umzublättern. Noch schlimmer ist nur die Lock-Taste, mit der man die Tastensperre ein- und ausschaltet. Diese hakt bei meinem Gerät, reagiert nur bei jedem zweiten Versuch und springt öfter mal nicht zurück. Noch dazu ist sie an der unteren Kante des Geräts angebracht, also der Stelle, an der man sie am schlechtesten erreichen kann.

Außer der wirklich tollen Verpackung wirkt alles an diesem Gerät lieblos, billig, undurchdacht und trist. Irgendwie erinnert es mich an diese Taschencomputer, die einem UPS-Mitarbeiter immer unter die Nase halten, damit man den Empfang bestätigt.

Auch was die Inhalte angeht, orientiert sich das Gerät konsequent an den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts. Es gibt nur Bücher und Zeitungen. Zum Testen habe ich mir mal die aktuelle Ausgabe der Zeit gekauft, oder das, was von der Zeit noch übrig war, nachdem sie durch den Kindle-Fleischwolf gedreht wurde. Der Inhalt sieht aus wie eine Zeitungs-Homepage Mitte der neunziger Jahre: oben das Zeit-Logo, eine Liste mit Kategorien, in jeder Kategorie die Überschriften der Artikel. Keine Gewichtung, keine Anreißertexte, keine Bilder, nichts. Eine reine Bleiwüste. Selbst Videotext wirkt einladend und gut aufgearbeitet im Vergleich dazu.

Ein Internet findet nicht statt. Es gibt keinen Newsreader, es gibt keine Blogs, es gibt keine Online-Inhalte. Wer eigene Inhalte auf seinem Kindle haben will, kann diese an eine Email Adresse schicken. Irgendwie fallen dafür wohl auch Gebühren an, zumindest über 3G, keine Ahnung, ob WLAN auch kostet, ich jedenfalls bin aus der Gebührenseite nicht schlau geworden. Ein an meine Kindle-Adresse geschicktes A4-PDF wurde vom Kindle ganz einwandfrei als unentzifferbarer Brei dargestellt, ein JPEG Foto sah nach nur kurzer Wartezeit aus wie frisch gefaxt. Bisher ist es mir nicht gelungen eigene Inhalte so auf das Gerät zu bringen, dass sie in ansprechender Form dargestellt werden können. Nicht mal einfache Text-Mails kann das Kindle darstellen, dafür aber wohl RTF- und Word-Dokumente. In diese ausgetrockneten Content-Wüste versuchen Services wie deliverads kleine Nachrichten-Tröpfchen zu bringen.

Vielleicht ist Amazon dieser Mangel an Onlineinhalten ja ein wenig peinlich, zumindest findet sich unter dem Menüeintrag “Experimental” ein Webbrowser. Dieser bedient sich ähnlich umständlich und hakelig wie Opera Mini auf einem 50€ Handy. Allerdings verfügt er über einen “Article Mode”, der, ähnlich wie “Readability” in Safari oder Reeder, die Seite passend für das Gerät aufarbeitet. Wenn man es also einmal zum gewünschten Artikel geschafft hat, kann man ihn mit etwas Glück auch ordentlich lesen. Von einer Lieferung fertig aufbereiteter Artikel zum bequemen Lesen ist diese Lösung aber weit entfernt, zudem kann man Artikel nicht fürs spätere Lesen offline als speichern.

Darauf soll ich Texte lesen? Ja was denn, bitteschön? Okay, es gibt viele Bücher und eine kleine Hand voll schlecht aufbereiteter Zeitungen fürs Kindle. Den unerschöpflichen Ozean an tollen Informations- und Unterhaltungsquellen im Netz ignoriert das Gerät ohne guten Grund aber komplett. Der Vergleich zum iPad mag ein wenig ungerecht sein, drängt sich aber geradezu auf: Dort gibt es RSS-Reader, Twitter, Facebook, einem kompletten Webbrowser, hunderte von gut aufbereiteten Verlagsangeboten mit Bildern, Videos, Text, interaktiven Grafiken. Nicht zu vergessen all die innovativen Lese-Apps wie Flipboard oder Al Gores “Our Choice”. Und das Kindle App gibt es ja auch für das iPad, aber eben mit Farbe, mit Hintergrundbeleuchtung zum Lesen im Bett, mit größerem Display, mit Nachtmodus.

Ja, das Kindle taugt ganz gut zum Lesen von Büchern auf dem sonnendurchfluteten Balkon. Wer ein Lese-, Informations- und Unterhaltungsgerät will, sollte aber dennoch lieber ein iPad kaufen.